Direkt zum Inhalt

Schmidt, J.-H. (2009). Braucht das Web 2.0 eine eigene Forschungsethik? Zeitschrift für Kommunikationsökologie und Medienethik, 11 (2), 40–44. https://www.hans-bredow-institut.de/en/publications/does-the-web-2-0-need-its-own-research-ethics

Zusammenfassung

In den vergangenen Jahren hat sich das Internet durch den anhaltenden Ausbau der Breitbandversorgung sowie durch innovative webbasierte Anwendungen verändert. Zwar ist das Schlagwort »Web 2.0« (vgl. O'Reilly 2005) als Sammelbegriff für diesen Wandel bereits überstrapaziert und kritisierbar, da es einen radikalen, wenn nicht gar revolutionären Entwicklungsschritt impliziert, was dem tatsächlichen Verlauf der Institutionalisierung des Internets nicht gerecht wird (vgl. Schmidt 2008). Dennoch ist unbestritten, dass Angebote wie YouTube, Wikipedia oder Weblogs die technischen Hürden weiter gesenkt haben, Inhalte aller Art (Texte, Fotos, Videos oder Musik) zu erstellen und anderen Nutzern online zugänglich zu machen. Hinzu kommen die populären Netzwerkplattformen wie MySpace und Facebook, im deutschsprachigen Raum auch SchülerVZ, StudiVZ oder Wer-Kennt-Wen, die es ihren Nutzern erleichtern, sich mit den eigenen Interessen, Vorlieben, Erlebnissen oder Meinungen zu präsentieren und davon ausgehend soziale Beziehungen aus Schule, Studium, Beruf oder Freizeit über einen weiteren Kanal pflegen. Aus kommunikationswissenschaftlicher Sicht sind diese Veränderungen des onlinebasierten Identitäts-, Beziehungs- und Informationsmanagements deswegen so relevant, weil sie einen neuen Typus von Öffentlichkeit entstehen lassen – die »persönliche Öffentlichkeit« (vgl. ausführlich Schmidt 2009). Darunter kann das Geflecht von online zugänglichen kommunikativen Äußerungen zu Themen von vorwiegend persönlicher Relevanz verstanden werden, mit dessen Hilfe Nutzer Aspekte ihrer Selbst ausdrücken und sich ihrer Position in sozialen Netzwerken vergewissern. Anders ausgedrückt: Persönliche Öffentlichkeiten treten neben journalistisch produzierte Öffentlichkeiten und entstehen an denjenigen Stellen im Netz, an denen Nutzer sich mit ihren eigenen Interessen, Erlebnissen, kulturellen Werken oder Meinungen für ein Publikum präsentieren, ohne notwendigerweise gesellschaftsweite Relevanz zu beanspruchen: In Beiträgen auf privaten Weblogs oder bei Twitter, rund um die Profilseiten einer Netzwerkplattform mit den daran anknüpfenden Konversationen auf Pinnwänden oder in thematischen Foren, oder auch auf Foto- und Videoplattformen, wo die eigenen Inhalte von anderen Nutzern bewertet und kommentiert werden können. Diese kommunikativen Akte sind öffentlich im Sinne von »für andere zugänglich«, können aber Informationen auf dem Spektrum von »intim« über »privat« und »für Teilgruppen relevant« bis »universell relevant« enthalten (vgl. zu den unterschiedlichen Facetten von »publicness« auch Heller 2006). Sie können zwei unterschiedlichen Kommunikationsmodi entspringen: Dem Kommunizieren im Sinne einer Konversation, also des interpersonalen oder gruppenbezogenen Austauschs, oder aber dem Kommunizieren im Sinne des Publizierens, also des eher auf ein disperses Publikum gerichteten zur-VerfügungStellens von Informationen. Von der massenmedialen Kommunikation, die universelle Öffentlichkeit via Publizieren herstellt, unterscheiden sich persönliche Öffentlichkeiten aber in zwei grundlegenden Punkten: Zum einen in den zugänglich gemachten Informationen, Inhalten und Themen, die vorrangig nach Kriterien der subjektiven Relevanz ausgewählt werden und oft auch personenbezogene Informationen (wie Geburtsdatum, Hobbies oder Vorlieben) umfassen. Zum anderen erreichen persönliche Öffentlichkeiten in aller Regel eher kleine Publika, die oft (aber nicht notwendigerweise) solche Personen umfassen, mit denen der Autor bereits in Kontakt steht.

https://www.hans-bredow-institut.de/en/publications/does-the-web-2-0-need-its-own-research-ethics